2004 - Kopenhagen

von Michael Frayn (Théâtre Municipal d’Esch)

(Inszenierung)

 

"Kopenhagen"

Begegnung mit drei Toten

Gabrielle Seil

 

Warum reiste der Atomphysiker Werner Heisenberg 1941 nach Kopenhagen, um sich dort mit Niels Bohr zu treffen? Diese Frage steht im Mittelpunkt von Eva Paulins Rekonstruktionsversuch des historischen Besuchs.

 

Dicke Plastikfahnen hängen von der Decke. Der hintere Teil der Bühne wird von einem länglichen Wasserbecken vom vorderen getrennt. Die Schauspieler tragen helle Kleidung und schützen sich mit dunklen Sonnenbrillen vor einer unsichtbaren Sonne. Es ist ihnen oft unvorstellbar heiß, und die Endivienblätter, mit denen sie sich frische Luft ins Gesicht fächeln, bringen kaum Erleichterung. Eigentlich sind die dargestellten Figuren alle längst tot, doch für die Dauer eines Rekonstruktionsversuchs trifft Werner Heisenberg noch einmal mit

Niels und Margrethe Bohr zusammen.

 

Über viele Jahre hinweg sind der deutsche Wissenschaftler, der bereits mit 32 Jahren den Nobelpreis für seine Mitwirkung an der Entdeckung der Quantenmechanik erhielt, und sein einstiger Mentor enge Freunde und Kollegen gewesen und haben bei ihren Treffen nicht nur über physikalische Gesetze und mathematische Formeln, sondern auch über philosophische Themen diskutiert. Nach der Begegnung im September 1941 schien indessen ein Schatten auf die bislang beispielhafte Beziehung zwischen den beiden führenden Physikern gefallen zu sein. Und obwohl die Umstände und die unmittelbaren Folgen der Reise Heisenbergs ins besetzte Kopenhagen gut dokumentiert sind, ist die Zusammenkunft mit Bohr nach wie vor von Kontroversen und Fragen umwittert.

 

Eva Paulin hat Michael Frayns Stück in einer Art Reaktor inszeniert. In einem fast sterilen Raum, aus dem es kein Entkommen gibt und in dem sich die Akteure immer wieder ein und dieselbe Frage stellen: Warum ist Werner Heisenberg nach Kopenhagen gekommen? Mehrere Antworten sind möglich. Er hatte seine Teilnahme an einer Vortragsreihe über Astrophysik im Deutschen Wissenschaftlichen Institut zugesagt. Oder aber er hat Rat gesucht, weil er sich mit seiner Forschung in einer ethischen Ausweglosigkeit sah und weil ihm längst klar geworden war, dass der Kriegseinsatz von Physikern in allen Ländern unvermeidlich sei. Vielleicht wollte er auch nur herausfinden, bis zu welchem Grade Niels Bohr über die geheime Kernwaffenforschung der unter besseren Bedingungen arbeitenden Alliierten Bescheid wusste. Fest steht lediglich, dass sich beide Männer mit der Frage quälten, ob "man als Physiker das moralische Recht habe, an der praktischen Ausnützung der Atomenergie zu arbeiten".

 

In dem als Dreierkonstellation komponierten Stück, das wie ein Perpetuum mobile funktioniert und von Anfang bis Ende in gleichmäßig rascher Bewegung verläuft, wird der historische Besuch dreimal durchgespielt, und dreimal wird ebenfalls an den tödlichen Unfall von Bohrs ältestem Sohn Christian erinnert. Bei einem Segelausflug, als es plötzlich heftig zu stürmen begann, wurde der 18-Jährige über Bord gespült. Den sofort geworfenen Rettungsring konnte er nicht mehr erreichen. Sein Vater wollte hinterherspringen, wurde jedoch von Freunden zurückgehalten. Es dauerte Wochen, bis der Leichnam gefunden wurde.

 

Diese Tragödie überschattete Bohrs Leben bis zu seinem Tod im Jahr 1962. In seiner Gegenwart durfte über diesen verhängnisvollen Julitag nicht gesprochen werden. Auch Werner Heisenberg fiel oft in Depressionen. Vor allem in langen Winternächten. Ob der 1901 in Würzburg geborene Gelehrte, der seinen Ruhm der Formulierung der Unschärferelation verdankt, tatsächlich im Auftrag Hitlers an der Herstellung einer Atombombe arbeitete, wird in "Kopenhagen" nicht erörtert. Stattdessen ist von der Energieausnützung in Maschinen und von unüberwindbaren Hindernissen die Rede. Die Stimmung schwankt unablässig zwischen Heiterkeit und Ernsthaftigkeit. Hin und wieder kommen Zweifel an der Freundschaft zwischen den Wissenschaftlern auf. Zumal Margrethe Bohr den "weißen Juden", wie Heisenberg von den Nationalsozialisten genannt wurde, einen jungen arroganten Mann schimpft und offen zugibt, dass sie ihn eigentlich gar nicht gemocht hat. Ihre Figur bringt neben der rein physikalischen Problematik eine menschliche Komponente auf die Bühne und hilft dem von wissenschaftlichen Belangen völlig unbeleckten Zuschauer, die Tragweite des Stückes besser zu verstehen.

 

Jean-Paul Maes spielt den dänischen Physiker Niels Bohr, dem 1943 die Flucht in die USA gelang, wo er in Los Alamos an der Entwicklung des Atombombenprogramms teilnahm, mit bewundernswerter physischer Präsenz. Marc Sascha Migge überzeugt als Werner Heisenberg vor allem in den leider äußerst raren spielerischen Momenten des Zweiakters, während Berit Fromme die Emotionalität ihrer Bühnengestalt treffend zum Ausdruck bringt. Hervorzuheben sind gleichermaßen das sehr expressive Bühnenbild von Jeanny Kratochwil und die Tatsache, dass es Regisseurin Eva Paulin gelungen ist, ein sich aus zum Teil recht komplizierten Gesprächen und Gedanken zusammensetzendes literarisches Werk auf eine derart spannungsgeladene Weise zu inszenieren, dass man sich in keinem Moment verlassen oder gelangweilt fühlt.

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