Ein Gespräch mit Eva Paulin, geführt von Astrid Kohlmeier.
Eva, du hast Romanistik, Orientalistik, Bühnenbild und Kostümkunde in Graz studiert und nach deiner Tätigkeit als freischaffende Bühnen- und Kostümbildnerin an Theatern in Deutschland und Luxembourg in die Regie gewechselt. Dein Regiedebut gabst du 1990 im Théâtre du Centaure mit der Inszenierung „Hughie“ von Eugene O'Neill. Inzwischen hast du 50 Theaterstücke in deutscher, französischer und Luxemburgischer Sprache inszeniert, u.a. am Théâtre des Capucins, dem TNL, dem Kasemattentheater, dem TOL und dem Théâtre d'Esch sowie einige Koproduktionen mit dem Theaterhaus Stuttgart und dem Trierer Stadttheater.
Worin siehst du heute die Gründe, die dich dazu bewegt haben, von der Erfindung und Gestaltung von Räumen und Kostümen in die Regie überzugehen? Inwiefern beeinflusst deine Arbeit als Bühnen- und Kostümbildnerin und die Wiederaufnahme deiner malerischen Tätigkeit deine Arbeit als Regisseurin und umgekehrt?
Das ist eine Wahrnehmungsgeschichte. Zuerst machte ich lange Zeit Bekanntschaft mit der Aussenwelt und nahm meine Innenwelt als nicht weiter erwähnenswert hin. Später erkannte ich, dass meine Innenwelt wie ein Spiegel der Aussenwelt funktionierte und noch später, dass die Spiegelbilder selbst erfundene Aspekte der Aussenwelt, wie ich sie sehe, sind. Und dass ich sie und mich verändern kann. Ich glaube, dass die Erweiterung meines Horizonts , die Neugier zu lernen und auszuprobieren ein Hauptgrund waren in die Regie überzugehen. Ausserdem ist für mich die gestalterische Freiheit in der Regie grösser, als beim Erschaffen eines Teilaspekts einer Inszenierung. Mit einem Raum kann ich weniger umfassend erzählen, was mir am Herzen liegt. Ähnlich wie beim Malen ist das Produkt, das Bild oder die fertige Inszenierung nicht nur aus dem Anliegen entstanden, gesehen oder gehört zu werden, sondern vor allem aus dem Bedürfnis etwas zu verändern, eine Spur beim Publikum zu hinterlassen. Ich trenne nicht zwischen mir als Malerin oder Bühnenbildnerin oder Regisseurin und kann daher auch nicht von wechselseitigen Einflüssen sprechen. Die Verbindung der unterschiedlichen Blickwinkel ist dann eben meine persönliche Sicht.
Die Erfindertätigkeit deines Vaters hat deine Familie und dich nicht lange nach deiner Geburt nach Italien geführt. Hat dich der Umstand, zweisprachig und zweikulturig aufgewachsen zu sein deine Theaterarbeit gezeichnet?
Ja, weil ich schon früh im Leben mit verschiedenartigen sprachlichen und emotionalen Reaktionsformen zur selben Situation konfrontiert wurde und Sprache somit nicht nur zu hören lernte, aber auch zu sehen, in Farben, und zu schmecken und auch zu riechen, oder zumindest mit Gerüchen zu assoziieren.
Es ergab sich dadurch ein Beobachterblick. Das hilft bei der Theaterarbeit, wenn es darum geht Text, also Sprache, in Bilder umzusetzen. Es gibt auch mit jeder Sprache eine andere metaphorische Welt und einen anderen Atem oder Rhythmus zu erlernen.
Deine Kinder sind 1982, 1988 und 1990 geboren. Es gab also lange Phasen in deinem Leben, in denen du dich ausschließlich deiner Familie gewidmet hast. Was bedeutet es für dich Künstlerin und Mutter in einer Person zu sein?
Auch zwischen mir als Mutter und mir als Künstlerin nehme ich keinen Unterschied wahr. Es ist sicher nicht immer leicht die unterschiedlichen Aufgaben unter einen Hut zu bekommen. Schon rein zeitlich ist es eine Herausforderung. Kinder müssen mit den Eltern aufwachsen, die sie bekommen und Eltern lernen von ihren Kindern so viel. Ich glaube, dass man als Eltern immer alles falsch macht, bis auf die genialen Ausnahmen, die geborenen Pädagogen. Das „Falschmachen“ ist aber die richtige Lebenslektion für unsere Kinder und für uns. Wir sind die Sparring-Partner der Kinder, bevor sie sich den Herausvorderungen des Lebens stellen müssen. Sie müssen sich von uns lösen, uns überwinden, um unabhängige Menschen zu werden. Kinder zu haben, relativiert uns in unserer künstlerischen Egozentrik.
Du bist innerhalb deiner Arbeit als Theatermacherin immer auf der Suche nach noch nicht etablierten Gegenwartsautoren und „neu geborenen“ Texten. Eine sehr mutige Haltung, wenn man bedenkt, dass alles, was noch nicht erprobt und bewährt ist, auch immer erst sein Publikum suchen und erobern muss. 2000 hast du den APTC asbl (association pour la promotion du théâtre contemporain), einen Förderverein zur Unterstützung zeitgenössischer Bühnenliteratur gegründet. 2001 und 2003 hast du das Festival „Act-in“ geleitet/ins Leben gerufen (?). Bei diesem Festival zeigten acht Theater in Luxemburg und die Stadttheater der Partnerstädte Trier, Thionville und Arlon zehn Tage lang jeden Abend eine Erstaufführung eines Bühnenstückes aus einem Land mit sogenannter „kleiner“ Sprache, in deutscher oder französischer Übersetzung. Was reizt dich daran, immer wieder zu Expeditionen in unbekannte literarische Regionen aufzubrechen?
Neugier und Lust an der Kommunikation mit der Gesellschaft in der ich gerade lebe. Die Gründung von APTC war eine Reaktion auf den etablierten Theaterbetrieb, der oft nur Glattes oder Erprobtes auf den Spielplan bringt. Und auch eine Notwendigkeit bei der existierenden luxemburgischen Theaterstruktur. Es gibt keine Ensembles, sondern nur Häuser mit Produktionsbudgets oder eben Produktionen, die vom Ministerium und dem Kulturfond unterstützt werden und da muss man eine Produktionsstruktur haben, APTC z.B. Wir sind ja auch Mitglied des Berufstheaterverbandes (FLTP). Act In war dann ein etwas grössenwahnsinniger Ansatz die Grossregion wie das europäisch heisst, bei einem Kulturevent zusammen zu bringen. Das wurde auch von Brüssel zu 50% unterstützt, war aber so zeitaufwendig in der Planung, gerade wegen Brüssel, dass wir auf weitere ACT IN verzichten mussten.
Seit 1991 bist du Ko-Direktorin des „Steinforter Festivals“.
Was ist das Besondere an diesem Theaterfestival?
Das Besondere ist, dass Steinfort ein kleines rein luxemburgisches Festival ist, das zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort und mit den richtigen Leuten entstanden ist. Vor 20 Jahren wurden in Luxemburg besonders dezentrale, also nicht in der Stadt Luxemburg, situierte Kulturereignisse vom Ministerium gefördert. Steinfort, ein kleiner Ort an der belgischen Grenze, hatte damals ein Industriegebäude aus der Jahrundertwende (19./20,), die Al Schmelz, renoviert und suchte die richtige Verwendung dafür. Der damalige Bürgermeister und jetzige Aussenminister Luxemburgs, Jean Asselborn, war von der Idee ein Sommerevent mit Neubearbeitungen alter luxemburgischer Stücke aus der Zeit des Gebäudes oder noch älter, zu realisieren, begeistert. Es hat sich dann nach 10 Jahren zu einem Ort für Uraufführungen von luxemburgischen zeitgenössischen Autoren gewandelt, obwohl wir im Vorjahr einen riesen Erfolg hatten mit der Bearbeitung von „den Här“, einem Stück über Machtmissbrauch der Kirche aus den 70er Jahren. Also weiterhin die älteren Stücke bei der Programmation nicht aus den Augen verlieren. Das erhält einen bestimmten Anteil an Publikum und garantiert uns immer volles Haus.
Was verbindet dich mit Andreï Makine?
Ich kann sagen, dass er ein Freund geworden ist. Mein Treffen mit Andreï Makine bei dem Kongress von Künstlern, die nicht in ihrer Muttersprache arbeiten, hat meinen Glauben an mich selbst bestärkt. Wir haben uns zwei Tage lang über unsere Auffassung vom Sinn des Lebens unterhalten und das hatte zur Folge, dass Makine ein Stück für mich geschrieben hat. Es erschien 2007, „Le monde selon Gabriel“, sein erster dramatischer Text. Ich plane es in einer stummen Fassung mit Clowns 2012 zu realisieren. Makine war zwar etwas skeptisch, als ich ihm von diesem Plan erzählte, aber er hat mir trotzdem erlaubt es zu bearbeiten.
„In meiner Regiearbeit löse ich die literarische Vorgabe solange auf, bis sie das Leben durchlässt, das den Zuschauer berühren kann.“ Wie verstehst du die „Auflösung“ einer literarischen Vorlage und welcher Art ist die „Berührung“ des Publikums, die du in deiner Theaterarbeit anstrebst?
Ein Text, der noch nicht gespielt ist, erscheint mir immer sehr kompakt und voller unterschiedlicher Möglichkeiten. Das Umsetzen auf eine Bühne segmentiert ihn, das heisst er fällt zuerst auseinander, wird durchsichtig, bevor er sich im anderen komplexen Zustand auf der Szene wiederfindet. Er beginnt durch die Menschen zu leben. Die Entscheidung in welcher Form und Situation er erscheint, ist der Prozess des Abwägens, was die Sinne des Zuschauers am Besten zu der Empfindung führt, die der Autor durch seine Worte evozieren wollte. Wenn es mir gelingt in meiner Inszenierung, das was der Autor sagen wollte mit meinen Überzeugungen zu verbinden und es klar beim Publikum ankommt, dann habe ich es berührt. Egal wie das Publikum dann darauf reagiert.
Du trittst nicht nur als Regisseurin, sondern auch als Autorin des Libretto der Oper „Fatamorgana“ für den kanadischen Komponisten Gabriel Thibaudeau in Erscheinung. Was bedeutet das Schreiben für dich?
Das Schreiben ist für mich wie eine logische Erweiterung der Regie. Seit 2007 schreibe ich Kurzgeschichten und als ich 2008 in Biarritz, wir waren beide in der Jury des Filmfestivals FIPA, Gabriel Thibaudeau begegnete und er mich fragte, ob ich ihm ein Libretto schreiben könnte, war ich zuerst überrascht, aber dann sehr glücklich eine neue Dimension meiner Phantasieumsetzungen ausprobieren zu können.
Was verbirgt sich hinter dem Namen „Kaleidoskop“?
Wegen der Kleinheit Luxemburgs, können wir immer nur eine begrenzte Anzahl von Vorstellungen anbieten. Es gibt hier einfach nicht mehr Menschen, die ins Theater gehen. Um unsere Produktionen einem grösseren Publikum zugänglich zu machen, wollen wir sie in einen Austauschmodus mit anderen Theatern im Ausland bringen. Deswegen haben wir KALEIDOSKOP gegründet, ein event , das jeweils eine Produktion unserer Partner zu einem kleinen Festival in Luxemburg einläd und im Austausch eine unserer Produktionen zu den Partnern schickt Wir suchen bei diesen Projekten nach überraschenden Positionen die Festgefahrenes in Frage stellen. Die weiter denken und achtsamer sind, um den Menschen näher zu kommen. Alles kann interessant sein, es kommt immer nur auf den Standpunkt an. Europa ist eine Wirtschaftsunion mit wirtschaftlichen Prioritäten bei allen „europäischen“ Entscheidungen. Kultur ist oft nur Alibi. Die Wirtschaft will von der Gesellschaft profitieren. Die Kultur will die Gesellschaft profitieren lassen. Will jedem die Möglichkeit geben, seinen Horizont zu erweitern um selbstbewusster zu werden und sich weniger manipulieren zu lassen.
Seit Jahren wird ja von Kulturschaffenden prophezeit, dass das Theater als Kunstform längst von anderen, zeitgemäßeren Medien überholt und vom Aussterben bedroht ist. Deutlich wird dies u.a. an diversen politischen Entscheidungen im deutschsprachigen Raum, an Einsparungen und Kürzungen im kulturellen Sektor, an Fusionen und der Schließung öffentlicher Theaterinstitutionen.
Ist Theater nach wie vor lebensnotweniger Bestandteil unserer Zeit und Gesellschaft oder vielmehr nur noch ein Luxusgut, welches z.B. zugunsten von Investitionen in Bildungs- und sozialen Sektoren, also etwa dem Ausbau von Tagesstätten und Ganztagesschulen, gekürzt werden darf?
Theater ist ein lebensnotwendiger Bestandteil einer kultivierten Gesellschaft. Es hat eine ganz unvergleichliche Zugangsform zum Zuschauer. Das Ereignis auf der Bühne ist life und es sind Menschen, die sich nicht nur in einer Geschichte befinden, die das Publikum beobachten kann, diese Menschen wollen den Zuschauer teilhaben lassen an einem Moment der Verwandlung. Sie schenken dem Publikum ihre Geschichte. Und zwar jedem einzelnen und ganz persönlich. Das passiert natürlich auch bei anderen life events, aber nicht beim Film, der ja immer als grosser Komkurrent angesehen wird. Das Theater ist eine Urform der Kommunikation und solange die Menschen Empfindungen haben und Gedanken, können sie sich , wenn sie wollen, mit allen Sinnen mit einem Theaterereignis identifizieren. Das ist nicht nur ein Genuss , sondern hat auch eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe der Aufarbeitung von Problemen und Tabus, für die das Theater durch einen bestimmten Standpunkt, neue Sichtweisen anbieten kann. Das polemische Gegeneinanderstellen von Sozialausgaben gegen Kulturausgaben kommt aus einer auf das materielle begrenzten Haltung, die mit grösseren Zusammenhängen nichts auf dem Hut hat, weil das sowieso nicht mehr Wählerstimmen bringt.
Hughie von Eugene O’Neill, 1990, Théâtre du Centaure-Luxemb. (Inszenierung und Bühnenbild)
Brochure zum Theaterfestival Act In 2003
Postkarte zum 7. Stengeforter Festival 1998
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