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1993 - Waikiki Beach

von Marlene Streeruwitz, Théâtre des Casemates- Luxembg

(Inszenierung und Bühnenbild)

 

Neue deutsche Theaterliteratur im Kasemattentheater

Eva Paulin inszeniert "Waikiki Beach" von Marlene Streeruwitz

 

Bei manchen Menschen weiß man gleich, wo man dran ist. Bei manchen Stücktiteln ebenso. "Waikiki Beach" führt in die Ferne, jedoch zugleich in die Irre. In die wahre Richtung mithin. Denn Marlene Streeruwitz' Mikroskop ist ein Fernglas, das sie umdreht: Als Riesenzwerge werden ihre Figuren gefährlich. Scharf wie Kaleidoskopsplitter. Die Autorin seziert mit gespitzten Fingern, was ihnen und ihr nahegeht. Auf daß es ihr nie allzu nah komme. Die sezierte Welt wird neu zusammengesetzt. Kunst ist die Form. Der Alltag hat keine. Wenn beide zusammenkommen sollen, gibt es einen Aufprall. Beim Drama ereignet sich der Aufprall in der Sprache. Marlene Streeruwitz bringt die Sprache auf den Punkt. Sie schneidet der Syntax den Fluß ab, punktum. Ihre Dialoge sind absolut künstlich, und also das Allernatürlichste. "Ich schreibe in Konkurrenz zur Welt, nicht zum Theater", sagt die Autorin, "ich suche den Gegenentwurf, die Gegenwelt, und reibe mich nicht an Literatur".

 

"Waikiki Beach" ist auf den ersten Blick eine Art Ehetragödie, nur an eher ungewohntem Ort: Die Frau des Bürgermeisters vögelt mit dem Chefredakteur der politisch gegnerischen Zeitung in den aufgelassenen ehemaligen Redaktionsräumen. Zwischen Punkt und Komma, die Marlene Streeruwitz' Stücke aufs kunstvoll-natürlichste gliedern, kommt man zur Sache. Dann aber kommen Eindringlinge: eine Strotterin (eine Stadtstreicherin), drei dicke Frauen und drei zitternde Greise, die Chorisches aus Aischylos' "Agamemnon" intonieren; vor allem aber ein Schlägertrupp mit Mick als Führer, der das Seitensprungpaar aufmischt. Der Liebhaber kann entkommen, kehrt mit dem Ehemann zurück und beide einigen sich über der Leiche Helenes (Helenas?) darauf, die Gegensätze zu vergessen und die Zukunft des Gemeinwesens im gemeinsamen politischen Männerbund zu gestalten… Herrenmenschen, Totentänze. Eine Etüde. In "Waikiki Beach" steigen die Erfolgsmenschen aus der Welt ihrer schönen Bilder hinab in die Arena des ewigen Männer- und Frauenkampfes.

 

Marlene Streeruwitz' Thema ist die Gewalt zwischen den Geschlechtern. Ihre Stücke vermischen das Politische mit dem Poetischen, zwängen Alltagssprache kleingeschnitten zwischen Punkt und Komma einer Kunst-Syntax, erlösen zugleich hehre Zitate abendländischer Literatur in die ihnen eigene hintergründige Trivialität.

 

Die 1950 in Baden bei Wien geborene Autorin kann als die Theaterentdeckung der Spielzeit 1991/92 gedeutet werden. In unmittelbarer Reihenfolge hat das Köner Schauspielhaus gleich zwei ihrer Stücke mit großem Erfolg im Frühjahr 1992 uraufgeführt: "Waikiki Beach" im April und "New York, New York" im Juni.

 

Das Kasemattentheater wird eine der ersten Bühnen sein, die "Waikiki Beach" nachinszeniert. Hiermit will das Kasemattentheater die Tradition der Verbreitung neuer deutscher Theaterliteratur in Luxemburg fortsetzen.

 

Eine Ko-Produktion des Kasemattentheaters und des Goethe-Instituts Luxemburg mit Unterstützung des Kulturministeriums, der Stadtverwaltung Luxemburg und des Fonds Culturel National.

 

Inszenierung und Ausstattung: Eva Paulin, Assistenz: Katharina Kronberg. In den Hauptrollen: Brigitte Kahn, Roberto Bargellini, Annette Schlechter, Jean-Paul Maes, Patrick Colling, Claude Fritz, Katharina Kronberg, Claudine Thill, Brigitte Bintz, Jean-Marc André u.a. Spielort: "Alen - Tramsschapp", Ecke Avenue Pasteur/Rue Ermesinde in Luxemburg-Limpertsberg.

 

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Eisige Kälte auf Waikiki-Beach

Das Kasemattentheater inszeniert die Selbstsucht der modernen Gesellschaft

Jutta Treinen

 

Waikiki-Beach - das klingt nach Sonne, Sand, Meer, nach Urlaubsidylle und wohlgestylten Menschen. Nach es sich gutgehen lassen und nach grenzenlosem Genuß. Nach all den Annehmlichkeiten, die unsere Wohlstandsgesellschaft so bietet. Und nach all dem, wonach jemand, der heutzutage auf sich hält streben sollte.

 

Doch Marlene Streeruwitz, die spät (und Gott-sei-Dank) entdeckte Bühnenautorin aus dem lieblichen Baden bei Wien, führt den Theaterbesucher, der sich von dem Titel, der die moderne Romantik verheißt, anlocken läßt, grausam in die Irre. Denn Waikiki-Beach wird hier zum Symbol der Verrohung, der Unfähigkeit zu echten Gefühlen, der Profitgier und weiterer netter Attribute unserer ach so gepriesenen und ach so fortschrittlichen Zeit.

 

Der Waikiki-Beach der Marlene Streeruwitz liegt in einem heruntergekommenen, verdreckten Gang eines Abrißgebäudes und die Strandschönheiten haben keine durchgebildeten Bodys, sondern eine zerrüttete Seele, die jeglichen äußeren Vorzug der Agierenden überdeckt. Schöne neue Welt?

 

Marlene Streeruwitz versteht es meisterhaft aus dem vordergründig harmonischen, die abgrundtiefe Häßlichkeit herauszuschälen. Sie arbeitet auch bewußt andeutungsweise mit Klischees, die sie dann unsanft zerlegt. Vor allem in Aspekten, die für die eigentliche Geschichte nicht wesentlich sind. So zum Beispiel bei den Namen. Wenn die weibliche Hauptperson, eine nach außen hin brave Bürgermeistergattin auf Abwegen, Helene Hofrichter heißt, und ihr Mann, der ehrenwerte Bürgermeister Rudolf. Denkt man dabei an Baden bei Wien, fällt einem unwillkürlich das fast anmutig zu nennende Helenental ein, in dessen Nähe dann auch folgerichtig Mayerling liegt, der Ort des gemeinsamen Selbstmords des Habsburger-Thronfolgers Rudolf mit der Baroneß Mary Vetsera. Eine Geschichte, die nicht nur die romantischen Gemüter Österreichs noch heute bewegt. Die Operettenverklärtheit schlechthin wird hier angerissen. Um dann prompt und gnadenlos demontiert zu werden.

 

Rein inhaltlich ist die Handlung schnell erzählt und scheint für den Otto-Medienkonsumenten auch wenig Neues zu bieten - so hat er sich die Politiker schon immer vorgestellt. Worum geht es? Frau Bürgermeister Helene Hofrichter (der Nachname erinnert an Schnitzler) hat ein zu Ende gehendes Verhältnis mit dem schärfsten politischen Gegner ihres Mannes, dem Chefredakteur der Oppositionszeitung. Sie treffen sich nach einer Gesellschaft in den Redaktionsräumen der Zeitung, um ihrem vermeintlichen Liebeswahn zu frönen, und merken, daß langsam, aber sicher, aus der eingebildeten Liebeswärme reale Kälte geworden ist.

 

Sie werden bei ihrem Stelldichein von einer Landstreicherin belauscht, die dann auch zusammen mit Helene sterben muß, als ein Trupp von rechtsextremen Schlägern in das Gebäude eindringt und die beiden Frauen (warum gerade die Frauen?) umbringt. Michael, der Chefredakteur kann fliehen und holt den Bürgermeister. Nach kurzer Trauer einigen sie sich darauf, den Mord, der für beide unangenehme Konsequenzen haben würde, zu vertuschen und sich gegenseitig bei ihren Karrieren zu helfen. Zurück bleibt nur noch der falsche Seufzer 'Helene', den die Erfolgsgewohnten pflichtschuldigst absolvieren.

 

Sicher, die Geschichte klingt nicht neu - die wichtigen Elemente unserer Gesellschaft sind darin enthalten. Und trotzdem hat dieses Stück eine Kraft, die die menschlichen Abgründe schonungslos aufdeckt und den Zuschauer in wutlose Verzweiflung stürzen lassen kann.

 

Das heißt natürlich nur, wenn dieser das zuläßt. In der Premierenaufführung letzten Freitag, hatte man das Gefühl, daß viele diese Ehrlichkeit sich selbst gegenüber nicht mehr haben. Es zeichnete Eva Paulins Inszenierung aus, daß man an bestimmten Stellen mit Recht etwas auflachen konnte, einfach um die Spannung zu lösen, die sich systematisch verstärkte.

 

Doch es gab Szenen von ungeheurer verbaler und körperlicher Grausamkeit, bei denen das Publikum immer noch lachte - vereinzelt zwar, und nicht aus vollem Halse, aber teilweise doch genüßlich. So zum Beispiel in der Szene, als Michael in voller Wut seiner Noch- oder trotzdemgeliebten gegen ihren Willen ein Scheidenzäpfchen zur Schwangerschaftsverhütung einführt, über das er sich vorher noch höchst amüsant mokiert hat. Dieser Moment ist mehr als nur die Vorbereitung zur Schwangerschaftsverhütung. Dieser Moment ist die vorweggenommene Vergewaltigung der Frau. Die Reaktion im Publikum zeigt, wie recht Marlene Streeruwitz mit ihrer erschütternden Analyse von der Gefühlskälte und der wachsenden Gewaltbereitschaft bis hin zum Sadismus hat. Sie zeigt darüber hinaus, daß wir alle uns heute vielleicht nicht mehr bewußt sind, wie sehr sich diese Grausamkeit schon in uns verankert hat.

 

Ganz deutlich wurde das, als der Führer der Rechtsradikalen, Mick, ein kleines sadistisches Spielchen mit der Frau Bürgermeister beginnt. Er spielt Fernsehshow à la 90er Jahre. Die Kandidatin Frau Bürgermeister muß Tiere nachahmen, und so hüpft sie dann verzweifelt gackernd als Hahn über die Bühne. Es ist mitleiderregend. Doch noch viel mitleiderregender ist es, wenn man daran denkt, daß sich im wirklichen Fernsehen genügend Kandidaten finden, die solch eine peinliche Bloßstellung freiwillig mitmachen. Und auch dazu lacht vereinzelt das Publikum - in einem Moment der gemeinsten Form der Gewaltanwendung. In einem Augenblick der tiefsten Demütigung.

 

Man muß dem Kasemattentheater ein großes Kompliment aussprechen, weil es dieses Stück -und damit diese so interessante Autorin nach Luxemburg gebracht hat. Aber auch, weil es die schwelende Kälte, die herausbrechende Kälte und die tödliche Kälte so eindringlich auf die Bühne gebracht hat. Mit Recht hat Eva Paulin darauf verzichtet, der rein körperlichen Gewalt einen zu großen Stellenwert einzuräumen, die seelische Gewalt trifft hart genug und ist eigentliches Zeichen des rauhen Klimas unserer Zeit.

 

Eva Paulin hat aber auch bewiesen, daß sie mit den ihr anvertrauten Schauspielern umgehen kann. Denn die haben auf beeindruckende Weise herausgeholt, was so in einem ganz normalen Menschen stecken kann. Allen voran Roberto Bargellini, der klar gemacht hat, was seinen Michael auszeichnet: grenzenloser Egoismus gepaart mit zynischer Menschenverachtung - ein bißchen Selbstmitleid zum Drüberstreuen. Brigitte Kahn versinkt als Helene immer tiefer in der Verzweiflung, obwohl sie sich immer wieder krampfhaft in Hochstimmung halten will, bis es zum völligen Zusammenbruch kommt und sie ihr Leben fast mechanisch zu Ende bringt. Und Jean-Paul Maes kann als Mick die hervordrängende Aggressivität und den schwelenden Sadismus geschickt bis zu deren Ausbruch hinter der hinterfotzig-freundlichen Fratze eines Selbstinszenators verstecken.

 

Mit Waikiki-Beach hat das Kasemattentheater klar gemacht, was sein eigentlicher Wirkungsbereich, seine eigentliche Aufgabe sein sollte. Nämlich das neue deutschsprachige Theater und seine Bekanntmachung in Luxemburg. Abende wie Waikiki-Beach bestätigen das nur.