1990 - Hughie

von Eugene O’Neill, Théâtre du Centaure-Luxemb.

(Inszenierung und Bühnenbild)

 

"Hughie" von O'Neill

Mit J. P. Maes und Th. v. Werveke

Paul Kremer

 

Der Gast, eine verkrachte Existenz, verlangt vom Nachtportier den Zimmerschlüssel. Der Nachtportier sucht nach der Nummer. Nicht verwunderlich: er ist neu eingestellt. Der angetrunkene Gast kommt, mit ein paar Tagen Säuferverspätung, von dem Begräbnis des früheren Portiers, seinem guten Bekannten. Gesprächig erzählt der Gast aus seinem Leben. Spieler ist er und treibt sich auf Pferderennplätzen herum. Er verdient Geld mit Wetten, Mogeleien und krummen Tricks. Er prahlt mit seinen Gewinnen, seinen tollen Liebschaften.

 

Es stellt sich heraus, daß der verstorbene Nachtportier sein "Konfident" war. Dabei erfährt der Zuschauer eine hegelianische Wahrheit; der angeblich aktive Mensch von Welt, besser von Halb-Welt, brauchte den armen Tropfen, dem er von großen Dingen vorschwafelte: das Selbstbewußtsein findet erst im Spiegel seines selbst, also einem anderen, zweiten Selbstbewußtsein, zu seiner Wahrheit, zu Anerkennung.

 

Materiell wird die Probe aufs Exempel mitgeliefert. Seit dem Tod des früheren Portiers hat das Glück den Spieler verlassen und nun bangt ihm davor, seine Schulden nicht rechtzeitig zahlen zu können. Dabei seien die Gläubiger rohe Gesellen aus dem "Milieu", denen selten zum Scherzen aufgelegt sei.

 

Hinter der aufschneiderischen Fassade tut sich Angst auf, nackte Angst. Gottlob findet der Spieler schließlich in der Person des neuen Nachtportiers einen zweiten Spiegel, ein zweites anderes Selbstbewußtsein.

 

Die Inszenierung Eva Paulins ist klassisch klar und deutlich: hier der vollmundige Spieler, dessen Erzählungen Welt schaffen, sei's auch nur eine vorgelogene, da der verschwiegene Nachtportier, der diese Welt ver-nimmt, ihr stiller Empfänger und ihr stummer Mitwirker ist. Die Spannung entsteht aus der Gegenüberstellung von hektischer Pseudo-Aktivität, von Gequassel einerseits und hinnehmender Passivität andererseits, die zugleich Vor-Bedingung für Aktivität ist.

 

Jean-Paul Maes ist der mal quicklebendige, mal niedergeschlagene Säufer-Spieler. Er trägt und er hält das Stück, das, ohne Handlung, ohne rechte Dynamik, in den Händen eines weniger vielfältigen Darstellers zur Langeweile absinken würde. So aber bleibt es Genuß.

 

Die undankbare Rolle des grauen Widerparts übernimmt Thierry van Werveke und meistert mit viel Geschick die schwierige Untätigkeit, indem er sich zur Beinah-Statue versteinern läßt, aus der um so effektvoller ein paar sparsame Regungen hervorbrechen.

 

Die dargebotene Leistung der beiden großen Schauspieler, die gelungene Inszenierung machen "Hughie" von O'Neill zum sehenswerten Stück.

 

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Nahe am Broadway beginnt das Abseits

Der realistische Blick - Hughie von Eugene O'Neill im Theater am Dierfgen

Jutta Treinen

 

Wir befinden uns in einem schäbigen - heute würde man sagen abgefuckten - New Yorker Hotel, das entweder höher hinaus will als es kann, oder von ehemaligem Glanz zehrt. Mit den billigsten Mitteln versucht es, sich ein bißchen Stil zu geben. Schmuddelige, abgetretene Teppichläufer, abgeschlagene Möbel, eine kitschige blaue Hortensia und ein verblichener Spiegel - Spiegel unserer Seelen? - vermitteln ein tristes Ambiente. Die Außenwelt leitet in die Innenwelt des Stückes über. Der Bühnenbildner hat mit schlichten Mitteln seine Arbeit optimal getan.

 

Schäbig wie das schlechtbelegte Hotel sind auch die Charaktere der Figuren. Und ebenso wie das Hotel können auch sie nicht dafür, sie wurden eben von Anfang an nicht gepflegt und gehegt. Gestoßen und getrieben sind sie dort gelandet, wo sie zu Beginn des Einakters stehen. An dieser Position ändert sich auch nichts; am Schluß stehen sie immer noch dort. Und als ob das Publikum das nicht von allein erkennen könnte, zeigt die Regie diese Tatsache durch den völlig störenden Einsatz eines Lichtzerhackers, auch Stroboskop genannt. Das war zwar der einzig wirklich gravierende Fehler, aber ein sehr plumper.

 

Eugene O'Neill braucht nur zwei Figuren, um seiner Sicht des Lebens in den Nebenstraßen des Broadway Ausdruck zu verleihen: einen Nachtportier und einen Gast. Während der Nachtportier nur Nachtportier und etwas debil ist, läßt der Gast schon mehrere Facetten spielen. Im Gesicht des Nachtportiers spiegelt sich nur Banalität - der Gast kennt mehr Grimassen: Suff und Verzweiflung, Angeberei und plumpen Bluff, Schadenfreude und Selbstgefälligkeit. Der eine ist stumpf, der andere schillert wie ein verwaschener Paradiesvogel. Der Spieler, Zocker, Möchtegernweiberheld und Aufschneider lebt in der gleichen Tristesse wie der Portier.

 

Langsam schleicht sich dann die dritte Persönlichkeit ins Stück. Unsichtbar zwar, aber immer präsenter, Hughie, der ehemalige Nachtportier, der vor kurzem erst gestorben ist. Hughie, der alles das war, was der Gast nie sein möchte, das, worauf er von der hohen Warte des Antispießers nur milde lächelnd herabblicken kann: Ehemann und Vater. Doch je länger der Gast dem Neuen vom Alten (Portier) erzählt, desto deutlicher klingt der leise Neid, die heimliche Sehnsucht nach einer beschaulichen, unoriginellen Idylle durch.

 

Der Tanz am Abgrund der Verzweiflung, die verschiedenen Arten der Verzweiflung, das sich gegenseitig Befruchtende der Verzweiflung (Hughie lebt durch den Gast in der Scheinwelt des Glamours und der Gast durch Hughie im bürgerlichen Mief), die Tragik und die Selbstverständlichkeit dieser Verzweiflung und die Tagträume, die einen trügerischen Fluchtweg aus der Eintönigkeit dieser Verzweiflung bieten - das ist das Thema des Propagandisten des Tragischen Eugene O'Neill. Denn nur der, der am Abgrund steht, hat das Leben erkannt.

 

Der Einakter Hughie dauert eine knappe Stunde und birgt dennoch das banale Leid der Einsamkeit, der Bedeutungslosigkeit - und zwar die ganze Palette. Jede Nuance von der plumpen Aufdringlichkeit bis zur kaum merkbaren Melancholie wird angespielt. Auf dem Papier und auf der Bühne des Theater am Dierfgen. Die Inszenierung von Eva Paulin birgt bis auf den Patzer mir dem Vorschlaghammer Stroboskop nur adäquate Töne jeder Lautstärke. Jean-Paul Maes als Gast und Thierry van Werveke als Portier leben ihre Charaktere. Sie zeigen jeder für sich alles, was die Figur verinnerlicht hat. Aber das ist nach einem genauen Rollenspiel noch nicht so schwer. Bedeutend wird ihre Kunst vor allem da, wo das gegenseitige Wechselspiel - die Verständnislosigkeit, die zaghafte Annäherung, die Zurückweisung - zwischen einem Säufer und einem müden Durchschnittsmenschen zu zeigen ist. Wie fein und subtil die beiden Schauspieler aufeinander reagieren ist ein Genuß.

 

"Für mich hat die Tragik allein die bedeutsame Schönheit, die die Wahrheit ausmacht" hat der Autor 1921 gesagt. Was er damit meint sehen Sie im Theater am Dierfgen.

 

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Off-Broadway

Zu "Hughie" von Eugene O'Neill im "Théâtre du Centaure"

 

Die heruntergekommene Halle eines schäbigen Hotels in einer Seitenstraße des New Yorker Broadways nachts zwischen drei und vier, ein nicht minder heruntergekommener betrunkener Taschenspieler und ein apathischer dümmlicher Nachtportier - das ist der Stoff, aus dem der amerikanische Alptraum gemacht ist resp. aus dem der naive Traum vom großen Glück im Land der unbegrenzten Möglichkeiten brutal in sein Gegenteil gekehrt wird.

 

Vor diesem bedrückenden Hintergrund spielt "Hughie" von Nobelpreisträger Eugene O'Neill, das zur Zeit im "Théâtre du Centaure" aufgeführt wird.

 

Laut O'Neill, der als Begründer des amerikanischen dramatischen Realismus gilt, ist das Leben nur in der Lüge möglich. Diese Lüge vollzieht sich in diesem grotesken, konstruierten Stück als allnächtliche Flucht vor der Realität in die Illusion. Gewisse Anleihen bei Strindberg, den O'Neill glühend verehrte, sind hier unübersehbar.

 

Zwei Personen nur stehen auf der spartanisch eingerichteten (wenn man es überhaupt noch so bezeichnen kann) Bühne: der desillusionierte Maulheld Erie Smith (Jean-Paul Maes) und ein namenloser trotteliger Nachtportier mit trostlos normaler Biographie (Thierry van Werveke).

 

Das Gewicht der Rollen war ungleich verteilt, den größten Part spielte Jean-Paul Maes. Thierry van Wervekes Rolle bestand größtenteils darin, mit unbeweglichem Blick ins Nirgendwo zu starren und Maes Litaneien teils staunend, teils uninteressiert über sich ergehen zu lassen. In den wenigen Szenen, in denen er etwas zu sagen hatte, wußte er zu gefallen und brachte das Publikum immer wieder zum Lachen - nicht zuletzt auch wegen seiner unnachahmlichen Mimik, die er gekonnt und genau einzusetzen wußte. Seine deutsche Aussprache aber müßte besser und vor allem deutlicher werden.

 

Diesen Vorwurf kann man Jean Paul Maes nicht machen. Er setzte außerdem seine ganze Routine und eine Portion Abgebrühtheit ein, um den armseligen Verlierer Erie Smith glaubhaft darzustellen.

 

Eine Schwierigkeit, die das Stück beinhaltet, meisterten die beiden jedenfalls: Es gelang ihnen, die Balance zwischen Groteske und (unfreiwilliger?) Komik des dichten Stoffs zu halten.

 

Die Hauptperson des Abends aber war gar nicht da. Hughie, der frühere Nachtportier, von dem das Stück handelt, ist nämlich schon lange tot! Und doch dreht sich alles um ihn, ist er der eigentliche Mittelpunkt des Gesprächs. Die größte Leistung war es sicher, diesen Abwesenden gleichsam auf die Bühne zu transponieren. Hughie war - obwohl tot - sehr wohl anwesend!

 

Dieser Hughie muß ein sehr interessanter und gleichzeitig merkwürdiger Mensch gewesen sein. Jahrelang hat er sich immer wieder dasselbe großmäulige Geschwätz Erie Smiths angehört. Offensichtlich hat ihn das nicht gestört; er war vielmehr in dieser Zeit einzige Bezugsperson und Stütze für Smith bei dessen allnächtlichen Ausflügen in die Welt der Illusion.

 

Ob Hughie wirklich so dumm war, wie der perfide Smith ihn machen will, und ob er wirklich so naiv war, dessen Lügengeschichten und Angebereien für bare Münze zu halten, werden wir nie erfahren. Vielleicht war er nur weise und hat seine Funktion als Mittel zum Zweck einfach akzeptiert. Auf jeden Fall gab er Smith durch sein geduldiges Zuhören die Möglichkeit, aus seiner tristen Realität zu flüchten.

 

Eigentlich müßte Smith ihm dankbar sein, aber zu solchen Gefühlen ist dieser Mensch überhaupt nicht fähig; er ist vielmehr nur auf der Suche nach einem neuen Hughie. Und er scheint auch ein Opfer gefunden zu haben...

 

Das Groteske und die Ausweglosigkeit einer Existenz, in der die Menschen nicht eigentlich leben, sondern nur Rollen spielen (wollen) und Masken tragen, ist offensichtlich.

 

Somit kann die ganze Geschichte wieder von vorne beginnen. Das ist aber eigentlich nicht schlimm, denn sie ist sehenswert.

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