2005 - Projekt; Gertrude Stein

Collage von Eva Paulin nach Texten von Gertrude Stein, Capucins / Musée d 'Histoire (Geschichtsmuseum der Stadt Luxemburg)

(Inszenierung)

 

Ida in den Städten, rosenfüßig

Eine Theater-Collage von Eva Paulin über Gertrude Stein

André Link

 

Das weit verzweigte Gebäude des Geschichtsmuseums kann zum Labyrinth werden, wenn man etwas Bestimmtes sucht. Wen suchen wir? Nun, Gertrude Stein, Leitfigur des 20. Jahrhunderts in Sachen Kunst und Literatur, dazwischen noch das 19. Jahrhundert und zwei Weltkriege überwindend und der humanitären Hilfe für ihr Adoptivland Frankreich verpflichtet.

 

Gertrude Stein war sich ihrer eigenen Genialität bewusst, wurde aber, da mit einem gesunden Misstrauen der Wirklichkeit gegenüber behaftet, nicht müde, dies in methodischen Reflexionen über sich selbst wieder in Frage zu stellen.

 

Nichts ist abenteuerlicher als die gewundenen Wege der Imagination, im Vergleich dazu muss jede Realität zu einem unscheinbaren Nichts verblassen. Eva Paulin, fasziniert von der überlebensgroßen Figur der legendären Mäzenin, hat eine Text-Collage zusammengestellt, deren Bestandteile allerdings ebenso wenig definiert werden wie das gesamte Schauspiel. Es geht treppauf, treppab durch das abendliche Museum, über lange Gänge und waghalsige Stege, an Drucken, Dynasten und Devotionalien vorbei. Ab und zu wird ein Blick frei auf Adolf Hitler, der sich an geraubten Schätzen ergötzt, aber der scheint einer anderen Welt anzugehören.

 

Inzwischen läuten Krönungs- oder Beerdigungsglocken, Königen die Höhepunkte ihres Lebens verkündend. Videofilme flimmern über Steins Erzeugnisse und die steinern Zeugen der luxemburgischen Vergangenheit. Cicerone während der rastlosen Wanderung spielt eine Art Zeremonienmeister in tadellosem Frack (Marc Sascha Migge), und zweimal nimmt uns der Lift gar das Treppensteigen ab. Damit niemand sich verirrt (verwirrt ist man sowieso), zeigen Rosenblätter den Weg.

 

Drei Schauspielerinnen stehen Eva Paulin zur Verfügung, eine selbstbewusst und eloquent, eine mehr für das Gesangliche, die dritte eher für das Tänzerische begabt. Eine große Rolle spielt das nicht, da hier das Wort im Mittelpunkt steht. Erstaunliche Worte einer Autorin, die das Paradoxon verehrt und es fertig bringt, sich selbst in einem Satz sechsmal zurückzurufen. Wiederholung hämmert skurrile Botschaften ein. Bedeutungsvolles schwingt im Raum, zwischen Eisbecherschirmchen, Ananasdosen und einer Palme, die mittelalterliche Mauergewölbe zu füllen sucht.

 

Ein bisschen genervt

Die nachhallenden Wort- oder Liedfetzen werden als roter Faden von einer Partnerin aufgegriffen, die ihrer Kollegin stets hautnah auf den Fersen ist. Als dramaturgisches Standbein mag das in Ordnung sein. Berit Fromme steht souverän über dem Ganzen, bis zur Gelassenheit, bis zur Kaltschnäuzigkeit. Mal ungehalten, mal nostalgisch, hin und wieder auch ängstlich, stellt Ingrid Müller-Farny Fragen, auf die sie natürlich keine Antwort erhält (von den drei Frauen ist sie diejenige, die uns direkt berührt). Die eher zapplige Pilar Murube bringt einen Hauch spanische Caprice in das Ganze, was nur zum Schluss ein bisschen nervt.

 

Wer sind die drei Damen: Ida, Ada, die Herzogin von Windsor, Gertrude Steins Lebensgefährtin Alice oder gar Gertrude selbst, in immer neuen Varianten? Offensichtlich will Eva Paulin uns eine Geschichte erzählen, das tut sie aber bruchstückweise. Das Spiel, perfekt ineinander verzahnt, hat alles bis auf Natürlichkeit, menschliche Wärme. Selbst wenn sie zu zweit nebeneinander auf schwarzen Sesseln sitzen, kommunizieren die Damen nicht, sondern fahren fort, sich zu widersprechen: jede für sich, Gertrude Stein für die ganze Welt?

 

Ob Ida auch weiterhin ruht oder immer noch durch exotische Länder und fremde Städte irrt, ob sie auch in Zukunft weichschalige Krabben verzehrt oder sich noch immer in ihren Schuhen verheddert, während ihr Andrew auf seine Spaziergänge konzentriert bleibt, werden wir wohl nicht erfahren (es sei denn, wir schlagen bei Gertrude Stein nach). Zum Schluss hat die zweite Gertrude die erste über der Schaltzentrale des Untergeschosses eingeholt, die dritte gestikuliert eine Ebene höher, allein, hinter Glas.

 

Spätestens hier wird der Zuschauer entscheiden, ob ihm Gertrude Stein ein Stück näher gekommen ist. Wenn nicht, die Theater-Rundgänge durch das Museum finden noch ein paar Mal statt, auf den gewundenen Wegen der Imagination, immer der Rosenspur nach.

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