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1999 - Bartsch- Kindermörder

von Oliver Reese, Theater Gmbh  in der Kulturfabrik Esch/ Alz.

(Inszenierung und Bühnenbild)

 

Schlagerliebe und Kindermorde

Christiane Schiltz

 

Die Kulturfabrik zeigt "Bartsch - Kindermörder" von Oliver Reese, mit Jean-Paul Maes und Serge Tonnar. Der Theatermonolog basiert auf autobiografischen Aussagen Bartschs, die der amerikanische Journalist Paul Moor in seinem Werk: "Das Selbstporträt des Jürgen Bartsch" (1972) festhielt.

 

Die Leute im Dorf schätzten den Nachbarjungen Jürgen Bartsch. Und Mitglieder des Langenberger Sparvereins "Fleißige Bienen" lobten den Kumpel als spendierfreudigen Saufgenossen. Die Angehörigen des "Magischen Zirkels Essen" bewunderten Bartschs Zaubertalente. Aber dieser liebenswürdige Bartsch genannt "Heintje'' aus dem Landkreis Düsseldorf-Mettmann gesteht im Juni des Jahres 1966 vier grausige Kindermorde. Der Adoptivsohn eines Metzgerehepaares war der sogenannte Kirmesmörder, der seit vier Jahren im Rhein- und Ruhrgebiet steckbrieflich gesucht wurde. Jürgen Bartsch schlachtete von seinem 15. bis zu seinem 19. Lebensjahr zwischen acht und elf Jahre alte Knaben bei lebendigem Leib bestialisch ab.

 

Heidschi Bumbeidschi

Oliver Reeses Stück basiert auf autobiografischen Textpassagen, die ebenfalls der Schweizer Psychoanalytikerin Alice Miller (*) bei ihrer Analyse über die mörderischen Folgen rigider und autoritärer Erziehungsmethoden als Quelle dienten. "Wenn ich als kleiner Junge von meiner Mutter träumte, entweder verkaufte sie mich oder sie kam mit dem Messer auf mich los […] Klatsch! Klatsch! Klatsch! […] kriegte ich ein paar ins Gesicht, Kleiderbügel hat sie in mir kaputtgeschlagen." Die Adoptivmutter erteilte angeblich nur Prügel und war ein tyrannischer Putzteufel. In der Schule wurde Bartsch regelmäßig von seinen Klassenkameraden verprügelt. Die Eltern schlossen ihn oft in den Keller ein und im Internat wurde der Fleischerlehrling sexuell missbraucht. Das wohlbehütete bürgerliche Elternhaus war eine perfide Scheinfassade nach außen. Miller sieht in Bartschs Töten die Entladung des aufgestauten, kindlichen Hasses.

 

Während seiner Inhaftierung erhielt Bartsch ausreichend Post von heiratswilligen Damen. Sie fühlten sich berufen, das "gefallene Untier" zu retten. Aber wie man zum Kindsmörder wird und wie nicht? Vererbtes Gengut, Erziehung, Triebinstinkt? Wieweit mischen sich Fiktion und Realität in Bartschs Zeugnissen?

 

So abstoßend seine sexuellen Gewalttaten auch waren, sie sind nicht die einzigen ihrer Art in der deutschen Kriminalgeschichte. In den 60er Jahren äußerten sich die Kriminalisten in der Bundesrepublik beunruhigt über den stetigen Anstieg jugendlicher Kindsmörder: Kinder notzüchtigen, quälen und töten andere Kinder. Somit lieferten Bartschs Aussagen nicht allein den betreffenden Wissenschaftszweigen der Psychiatrie, Pädagogik und Psychologie neue Erkenntnisse, sondern garantierten ihm auch öffentliche Aufmerksamkeit. 1977 willigte er schließlich ein, sich kastrieren zu lassen, um seinem abnormen Triebverlangen ein Ende zu setzen. Chirurgie als Lösung triebhafter Abnormalitäten? Auch Alex unterzieht sieh in "A Clock Work Orange" (1971) freiwillig der "Ludovico-Kur". Alex wird emotional anästhesiert. Bartsch dagegen überlebt die Operation nicht.

 

Im 18. Jahrhundert beschreibt zuerst Marquis de Sade in "120 Tage von Sodom" über Trieb-Anominalitäten und sexuelle Perversionen. Sade machte sich über den Gefühlsschwärmer Rousseau lustig, für den der Mensch von Natur aus gut war und stellt diesem den Instinktmenschen gegenüber. Verdorben hatte ihn, nach eigenen Angaben der Hochmut seiner Umgebung. Der folgte den Gesetzen der blind zerstörerischen Natur und exerziert mit Genuss und ohne Reue das grauenvolle Laster. Jürgen Bartsch tötete in übersteigerter sexueller Erregung, wie der Oberstaatsanwalt Fritz Klein von der damaligen untersuchenden Staatsanwaltschaft Wupperthal meinte. Doch wurzelt Bartschs Bluttat in einer traumatisierten Kindheit oder in einer reinen Befriedigung abartiger Sexlust? Reeses Monolog liefert auf diese Frage keine Antwort.

 

Mamatschi, schenk' mir ein Pferdchen

Die Vorführung zeigt Bartsch in einer Gaststätte. Dieser Bühnenort ist eine gute Wahl, da Wirte wohl oft die unfreiwillige Rolle eines Psychiaters übernehmen. Bartsch schildert seine Kindheitserinnerungen, warum er das weibliche Geschlecht und rothaarige Jungen nicht mag. Verstört berichtet er von den Misshandlungen im Internat und seiner sexuellen Begierde nach Knabenkörpern. Nervös und erregt scheuert er nach dem Vorbild der mütterlichen Putzhysterie den Raum. Der Wirt bleibt stumm hinter dem Tresen, schubst Bartsch herum, kauert abwechslungsweise im Sessel, liest die Bildzeitung und stimmt die Gitarre. Das Abendprogramm heißt "Zauberschlager mit Freddy''. Dem Gestammel Bartschs hört er mit halbem Ohr zu. Seine Mimik zeugt von Langeweile und Ekel zugleich. Wird Bartschs widerwärtiges Geschwätz ihm zu bunt, schmeißt er ihn rauß.

 

Serge Tonnar stellt den Prototyp des Inhabers einer biederen Saufschenke dar. Sein Schweigen spiegelt die allgemeine Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber dem Schicksal eines ihrer Mitglieder. Bereits im Jahre 1961 wurde Anklage gegen Bartsch wegen sexueller Belästigung erhoben. Die Ortspolizei bearbeitete den Fall als Körperverletzung. Somit wurden schon zu Beginn der Mordserie die Weichen falsch gestellt. Ordnungshüter und Nachbarschaft ignorierten Bartschs abartige Veranlagung. Der Wirt, den Bartsch in der Aufführung liebevoll Freddy nennt, ist ein Schnulzenhuber, wie es deren damals Abertausende gab. Freddy präsentiert mit seinem modischen Outfit - Cowboystiefel, enge Jeans, aufgekrempelten Ärmel - die Garderobe der Halbstarken. Eine dichte Haarmähne unter dem Cowboyhut liefert den letzten Schliff.

 

Schlager von Heintje, Hans Albers und Freddy Quinn erklingen. Aber dann ergreift der falsche Freddy selbst das Mikrofon und gibt einen rührenden Pferdeschlager zum Besten. Da schmeißt Bartsch euphorisch seinem Vorbild ein paar Plastikblümchen vor die Füße, die so echt sind wie die besungene Lagerfeuerromantik. Die originellste Szene im Stück! Überdies glänzt Jean-Paul Maes als Magier Bartsch bei der Vorführung mehrerer Zauberkunststücke.

 

Bartsch selbst stellt er dagegen zu impulsiv und leidenschaftlich dar. Er wirkt zu zerstört, so dass der Frust zuweilen übertrieben erscheint. Doch, wie stellt man dramaturgisch einen Kinderschänder - ohne Langweile und künstlichen Übereifer dar?

 

Respekt für den Mut, den Maes bei dieser schwierigen Rolle bewiesen hat. Deutlich besser aber meisterte Gert Fröbe im Film "Es geschah am hellichten Tag" diese Aufgabe. Maes' Darstellung des abartigen Homo-Erotikers Bartsch erweckt weder Mitleid noch Abscheu. Die ZuschauerInnen halten eine nüchterne und gesunde Distanz zum Täter.

 

(*) Alice Miller "Am Anfang war Erziehung" (1983)